Die Bundeswehr – Werbung und Warnung?
von Brunhild Müller-Reiß
Die Bundeswehr wirbt derzeit massiv: mit Werbeplakaten, Werbepostkarten in Kneipen und einer Kampagne: ‚Die Rekruten‘. Auch auf youtube. 20.000 neue Soldat_innenen braucht die Bundeswehr jedes Jahr. Um Nachwuchs zu gewinnen, startet jetzt eine Webserie, die zwölf Rekrut_innen drei Monate lang bei ihrer Grundausbildung begleitet. Die große PR-Offensive, die Ministerin von der Leyen betreib, kostet insgesamt mittlerweile fast 100.000 Euro pro Tag. Auf Plakaten heißt es z. Z. u. a. ‚Geheimnis –Spannung – Abenteuer‘. Nichts Neues – könnten wir sagen: Die Bundeswehr braucht junge Leute und da wird halt geworben – mit Allem, was an Werbemitteln zur Verfügung steht.
Aber wie passt das neueste Y-Heft der BW dazu (Nov. 2016)?
Die Titelseite ( plus Inhaltsverzeichnis) sieht so aus:
„Ausgabe Spezial 2016
Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Tod und Verwundung gehören für die Soldatinnen und Soldaten zu den konkreten Risiken ihres Berufes. Wie gehen die Menschen in den Streitkräften mit dieser existenziellen Herausforderung um?
Ich sterbe
- Karfreitagsgefecht – Der bisher härteste Kampf der Bundeswehr – S. 8
- Gefahr – Bilder der Kriegsfotografin Anja Niedringhaus – S. 16
- Vorsorge – Soldaten bereiten sich auf ihren eigenen Tod vor – S. 22
- Checkliste – Testament, Patientenverfügung, Vollmachten – S. 28
- Anatomie – Was passiert, wenn der Körper stirbt? – S. 30
- Trauer – Ein Soldat über den Tod seines Kameraden – S. 36
- Rituale – Letztes Geleit für die Gefallenen – S. 38
- Zahlen – Die Toten der Kriege – S. 44“
Das Titelbild ist schwierig zu entschlüsseln: ein toter Mann unter einer Plastikfolie? ‚Feind‘ oder ‚Freund‘? Beim ersten Durchblättern sind gruselige Bilder von getöteten und verletzten Menschen und ebenso gruselige Texte im Großformat zu sehen: „Ich habe sofort gemerkt, dass er es nicht schafft.“ Oder: „SEIN KÖRPER REISST IN DER MIITTE — SEINE EINGEWEIDE KIPPEN — MIT EINEM SCHMATZENDEN GERÄUSCH — AUF DEN BODEN –– ERST DA VERSTUMMT SEIN WIMMERN.“
Warum diese drastischen Texte und Bilder vom Töten und getötet werden? Das passt doch nicht zu ‚Geheimnis, Spannung, Abenteuer‘. Und Werbeaufenthalten der B.W. auf Sardinien.
Die Antwort gibt das Editorial von Andrea Zückert, Chefredakteurin der ‚Y‘. Dickgedruckt heißt es zunächst: „Die eigene Existenz für das Leben anderer Menschen einsetzen“. Und weiter: „Soldat sein heißt, im Einsatz Verwundung, gar den eigenen Tod in Kauf zu nehmen, um GEGNER (Hervorhebung von mir) zu bekämpfen. Um seine Kameraden und um Zivilisten vor dem – vom Feind gewollten – Tod zu bewahren. Soldaten sind bereit, ihre eigene Existenz für das Überleben anderer Menschen einzusetzen, für deren Leben. (…) Wer mit Tod und Verwundung konfrontiert wird, erkennt umso eindringlicher den Wert des Lebens, das er als Soldat verteidigt.“
Also: das Risiko des eigenen Todes für den Schutz anderer Menschen. Ehrenwert!
Wir erfahren im Heft dann Vieles über die Situation von getöteten und verletzten Soldat_innen. Wir erfahren auch etwas über die Arbeit von Militärseelsorgern. Neben dem Foto von einem Militärseelsorger – im Tarnfleck und mit Gitarre bei einem Gedenkgottesdienst für einen toten Soldaten – heißt es: „Ein militärisches Ritual ist die die gemeinschaftliche Trauerfeier. Sie hilft den Tod des Kameraden zu bewältigen, erleichtert das Abschiednehmen und symbolisiert gleichzeitig die Wertschätzung der Hinterbliebenen.“
Unter der Überschrift „ER ODER WIR“ wird der Frage nachgegangen, was es bedeutet zu töten. Konkret wird sich auf ‚Auslandseinsätze‘ bezogen.
Über einen Soldaten, der in Afghanistan war, wird gesagt: „Und er hat getötet als es unvermeidlich war.“ Immer wieder ist von ‚Gegnern‘ die Rede, von ‚Zwischenfällen‘ und ‚Feindkontakt‘. Der Soldat sagt: „Mir war klar, dass ich schießen muss, sonst fällt einer von meinen Jungs um.“ Und es habe ihn in Afghanistan und später nicht belastet, dass er einen Menschen getötet habe: „Der Mann war das Ziel. (…) Krieg ist kein Videospiel. Er ist dreckig und staubig.“
In einem folgenden Artikel wird auf Soldaten eingegangen, „die nicht töten wollen.“ Die Rede ist nicht von Deserteur_innen, wie ich zunächst dachte, sondern von Kämpfenden, von denen nur jeder Vierte die Waffe wirklich auf einen anderen richte. Es wird in dem Artikel der Frage nachgegangen, wie mit dem moralisch gebotenen Tötungsverbot in der Zivilgesellschaft und dem von Autoritäten befohlenen Töten im Krieg umgegangen werden könnte. Da heißt es als Resümee: „Wenn ein Soldat im Auftrag der Gesellschaft in den Tod geht und dort tötet, ein Akt, der in friedlichem Kontext als unmoralisch verurteilt würde, entsteht eine Diskrepanz zwischen der friedlichen Gesellschaft und dem kriegerisch agierenden Soldaten. Diese Kluft kann nur überwunden werden, wenn die Gesellschaft anerkennt: der Soldat riskiert für sein Land nicht nur die eigene körperliche und seelische Unversehrtheit, sondern auch die moralische.“
Es ließen sich noch viele Beispiele finden, die grundsätzlich wichtige Themen mit immer derselben Begründung abhandeln und damit legitimieren: Kampf für das eigene Land, Kampf gegen den ‚Feind‘, den ‚Gegner‘, ‚selbstloser Kampf für andere Menschen‘. Die Formulierung: „Soldaten sind bereit, ihre eigene Existenz für das Überleben anderer Menschen einzusetzen …“ erzeugt Konnotationen an christlich-biblisches Gedankengut.
Dort aber geht es um das eigene gewaltlose Sterben für Andere, nicht um das Töten und Getötet-Werden im Krieg.
Bleibt die Frage, warum dieses Heft gleichzeitig mit der Werbekampagne für ‚Rekruten‘ erscheint?
Stimmt dieses Heft auf – antizipierte – Auslandseinsätze der BW ein? Soll es entsprechend auf die zu erwartende harte Kriegsrealität vorbereiten. Soll es uns alle in die Pflicht nehmen, den Soldat_innen bei ihrem Tun den Rücken zu stärken? Weil das Land und wir alle diese selbstlosen Helden braucht? Geht es vielleicht gar schon um die Vorbereitung auf eine Europa-Armee