Rolf Beckers „Rede“ zu unserem Ostermarsch


Ostermarsch – unser Nein zum Krieg – virtuell, reduziert auf gedanklichen, digital vermittelten Austausch? Hinnehmbar allenfalls als vorübergehende Einschränkung. Hierzu vorab Dank an die Flensburger und Schleswiger Genossinnen und Genossen der DFG/VK, denen es am heutigen Karfreitag gelang, ihre Mahnwache gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr vor den Toren vom Fliegerhorst Schleswig-Jagel durchzusetzen.

Ansprachen an die Nicht-Versammelten, ebenfalls aufs Digitale reduziert, statt im spontanen Miteinander, von Angesicht zu Angesicht? Für die meisten von uns, auch für mich, die wir uns auf politischen Veranstaltung allenfalls an Entwürfe halten, um offen zu bleiben für den direkten Kontakt, kaum denkbar.

Mit dieser Einschränkung und im Hinblick auf das notwendige gemeinsame Weitermachen:

Jetzt, infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie wird die Fragwürdigkeit bisheriger Regierungspolitik, nicht nur hier in der Bundesrepublik, sondern europaweit deutlich. Das vielzitierte „gemeinsame Haus Europa“ erweist sich als ein brüchiger Zusammenschluss von Staaten, deren widersprüchliche nationale Interessen sich kaum noch mit den bislang propagierten Zielen einer vereinigten Europäisch Union in Einklang bringen lassen. Sichtbar wurde das bereits in der weltweiten wirtschaftlichen Krise ab 2008, als Bevölkerungen wie in Griechenland durch die Spardiktate der Troika (Brüssel, Berlin, IWF-Internationaler Währungsfond) die Lasten ihres verschuldeten Landes aufgebürdet wurden. Statt Lastenausgleich innerhalb eines föderalen Zusammenschlusses Umverteilung zugunsten wirtschaftlich stärkerer Staaten. Heute, nicht als Folge der Corona-Pandemie, sondern als Konsequenz mangelnden Miteinanders: Grenzschließungen, Einschränkungen des Warenverkehrs, Aufhebung persönlicher Freiheitsrechte. Hierzulande: die Überforderung des Gesundheitssystems infolge seiner vorangegangenen Privatisierung, durch die mit dem Abbau des Personals Krankheit zur gewinnbringenden Ware wurde.

Absehbar als Corona-Folge und in den Wirtschaftsseiten bürgerlicher Presse bereits diskutiert: wirtschaftliche Rezession, Konkurse, Betriebsstillegungen, Entlassungen, deren Auswirkungen durch milliardenfache Verschuldung gemildert werden sollen. Keine Frage, wer diese ungeheuren Summen eines Tages erstatten soll – wem anders als denen, die bislang schon unter dem zunehmenden ökonomischen Druck leiden, Fortschreiten und Steigerung also der Umverteilung von unten nach oben.

Diese scheinbar abweichende Einleitung zu unserem Anliegen, mit dem Ostermarsch gegen Kriegsvorbereitungen, Waffenproduktion und atomare Hochrüstung zu protestieren, führt uns angesichts der weltpolitischen Entwicklung in Wahrheit zum Thema: statt beispielsweise sämtliche Sanktionen, unter denen viele Völker leiden, jetzt wegen der Pandemie aufzuheben, werden sie aufrechterhalten oder wie gegen Venezuela und Cuba sogar verschärft. Der Flüchtlingsfrage wird mit militärischen Abwehrmaßnahmen begegnet. Der Waffenexport bleibt uneingeschränkt. Der Einsatz der Bundeswehr innerhalb der Bundesrepublik wird vorbereitet. Die Einschränkung demokratischer Rechte, bislang von der Mehrheit der Bevölkerung noch hingenommen, schreitet fort. Die 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze bleiben noch in Reserve. Das gegen Russland gerichtete Großmanöver „Defender“ wird, wenn auch erheblich reduziert, weitergeführt. Die Möglichkeit durch Rüstungsbeschränkungen und mit friedlichen Mitteln den Weg zu einer multipolaren Welt zu ebnen, bleibt unbeachtet. Warum?

„Die Kapitalisten wollen keinen Krieg, sie müssen ihn wollen“ – Brecht. Sie müssen den Krieg wollen, weil es für sie bei fortschreitender ökonomischer Krise, wenn die bisherigen Märkte keinen ausreichenden Profit mehr bringen und sich das Ausplündern unterdrückter oder schwächerer Länder nicht mehr steigern lässt, auf die Eroberung neuer, noch nicht oder unzureichend erschlossener Märkte angewiesen sind.

Unser aller Sorge: Die Kriegsdrohungen seitens der NATO gegen Russland und China. Wir wissen inzwischen: ein Krieg gegen Russland würde hier in Europa ausgetragen werden, aus US-amerikanischer Sicht zur Ausschaltung eines ihrer ökonomisch größten Konkurrenten führen. Ein Krieg gegen China entsprechende Konsequenzen für die Völker Ostasien haben. Was ihn vorerst verhindert ist das nicht auszuschließende Zusammengehen Russlands und Chinas mit nicht absehbaren Folgen für die USA.

Die Rechtsentwicklungen in Europa nehmen zu. Dazu Bertolt Brecht, 1935:

„Die Geschäfte des Kapitalismus sind nun in verschiedenen Ländern (ihre Zahl wächst) ohne Rohheit nicht mehr zu machen. Manche glauben noch, es ginge doch; aber ein Blick in ihre Kontobücher wird sie früher oder später vom Gegenteil überzeugen. Das ist nur eine Zeitfrage.

Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, in ihm nicht angetastet werden. Wer den Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht preisgeben will, der wird den Faschismus nicht loswerden, sondern ihn brauchen.

Die große Wahrheit unseres Zeitalters (mit deren Erkenntnis noch nicht gedient ist, ohne deren Erkenntnis aber keine andere Wahrheit von Belang gefunden werden kann) ist es, daß unser Erdteil in Barbarei versinkt, weil die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln mit Gewalt festgehalten werden. Was nützt es da, etwas Mutiges zu schreiben, aus dem hervorgeht, daß der Zustand, in den wir versinken, ein barbarischer ist (was wahr ist), wenn nicht klar ist, warum wir in diesen Zustand geraten? Wir müssen sagen, daß gefoltert wird, weil die Eigentumsverhältnisse bleiben sollen. Freilich, wenn wir dies sagen, verlieren wir viele Freunde, die gegen das Foltern sind, weil sie glauben, die Eigentumsverhältnisse könnten auch ohne Foltern aufrechterhalten bleiben (was unwahr ist).

Wir müssen die Wahrheit über die barbarischen Zustände in unserem Land sagen, daß das getan werden kann, was sie zum Verschwinden bringt, nämlich das, wodurch die Eigentumsverhältnisse geändert werden.“

Hier, nur hier, denke ich können und müssen wir ansetzen. Uns beteiligen, wo auch immer Widerstand entsteht, der sich dem Unrecht infolge bestehender Eigentumsverhältnisse nicht zu beugen bereit ist.

Den Forderungen, für die wir dieses Jahr beim Ostermarsch nicht demonstrieren dürfen, schließe ich mich an. Wir sehen uns wieder, ob in Hannover, Schleswig-Jagel, oder wo auch immer.

Bleibt gesund, bleibt wach, bleibt bei uns. So wie ich bei Euch. Mit dankbaren Grüßen – Rolf Becker, ver.di Hamburg, OVV