No-Border-Kitchen

Bericht von der Veranstaltung: ‚NoBorder-Kitchen‘ im UJZ Kornstraße am 6. Januar 2016
Es ist richtig voll. Es müssen noch Stühle in den Veranstaltungssaal getragen werden. Die veranstaltenden Organisationen sind sichtlich zufrieden.
Und dann geht es los.
Zunächst erzählt ein Aktiver von seinen persönlichen Erfahrungen. Und diese Erfahrungen sind reich an frustrierenden und schönen Erlebnissen und zeugen von einem nahezu unglaublichen Einsatz. Über die eigene Herkunft wird gesagt: „Wir sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Aktivist_innen aus der Altmark, Hamburg, Hannover, Berlin, Melbourne and from the middle of nowhere…) Einige von uns stammen aus VoKü-zusammenhängen (wie z.B. VolXküche Hannover/ Le Sabot, Food for Action) sowie andere AktivistInnen die ganz andere Erfahrungen,Stärken und Schwächen mitbringen. Die meisten von uns kannten sich vorher nicht. Was uns eint – ist – durch unsere Arbeit und die Bereitstellung von Verpflegung und technischer Infrastruktur vor Ort -konkrete Hilfe zu leisten und so die Menschen auf der Flucht bei der Überwindung der Grenzen praktisch zu unterstützen.“

Zunächst wollten die Aktivist_innen über die Balkan-Route bis nach Slowenien, weil dort auch schon andere Gruppen aktiv waren. Weil sich dort aber die Lage geändert hatte und die Aktiven keine Kocherlaubnis bekamen, brach die Gruppe zunächst zusammen. Es bildete sich eine neue Gruppe, die von Leipzig aus startete. Von dort geht es nach Tessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands und von dort nach Idomeni an die Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland in ein leer stehendes Militärgelände, wo drei Tage lang gekocht wird, auch mit der Unterstützung geflüchteter Menschen. Eine zweite Gruppe reist an. Es wird für ca. 1.000 Leute gekocht. Die ca. 3000 an der Grenze festeckenden Geflüchteten bekommen  zunächst  auch Unterstützung von Hilfsorganisationen, die aber bald abreisen. Nur ‚Ärzte ohne Grenzen‘ unterstützt weiterhin. Zeitweilig kochen 3 kleine autonome Küchengruppen alleine für tausende.
Die Gruppe wird zusammen mit den Geflüchteten auf ein Gleisbett vertrieben und kocht weiter in leeren Güterwaggons, wo die Menschen windgeschützt sind, aber es nachts so kalt wie in einem ‚Eisschrank‘ ist – für die Kochcrew und die Flüchtlinge. Bald werden einige Menschen krank. Die Essenszubereitung geht weiter. In Idomeni beginnt ein Hungerstreik von iranischen geflüchteten Menschen. Der Aufstand wird zu einem Massenprotest. 1.000 bis 2.000 Menschen wollen über die Grenze, sie rufen ‚No Border‘, ‚We are not terrorists – We are humans.‘ und ‚Shoot us or save us‘ Und: ‚Wir sind vor Bomben und Terror geflüchtet, jetzt werden wir hier wie Terroristen behandelt.‘  Die Protestierenden zerstören immer wieder den Grenzzaun, der aber immer wieder neu und jedes Mal massiver hergestellt wird. Sie verlangen eine bessere Behandlung durch die Grenzpolizei. Sie wollen die Grenze passieren und fordern eine Verbesserung der Situation im Iran. Aufgrund der angespannten Situation und der Enge der Verhältnisse kommt es auch zu Gewalt zwischen den Flüchtlingsgruppen. Auf mazedonischer Seite wird geschossen. In einem Bericht vom 26. 11. 2015 heißt es bei n-tv im Internet: „Endstation Idomeni. Mazedonien sortiert seit Tagen aus: Flüchtende, die nicht aus Syrien, Irak oder Afghanistan kommen, müssen draußen bleiben. Aufgrund dieser Abschottungspolitik hängen bereits Tausende Menschen auf der griechischen Seite der Grenze fest.
Einige von ihnen nähen sich aus Protest den Mund zu.“ Genau von dieser Situation  wird bei der Veranstaltung berichtet. Es werden Fotos von Menschen gezeigt, die sich ihre Münder zugenäht haben. Zweimal wurden auch Menschen in Krankenhäuser begleitet – aber eigentlich gab es dafür keine Kapazitäten und gehörte auch in den ‚Zuständigkeitsbereich‘ von ‚Ärzte ohne Grenzen‘. Vor allem aber wird immer weiter gekocht. Ein bei der Veranstaltung eingeblendeter Kurzfilm von CNN London veranschaulicht die Situation. Insgesamt sei die Situation in Idomeni so anstrengend gewesen, dass die Aktivist_innen immer wieder nach Tessaloniki fahren mussten, um sich dort zu erholen  – und dann wiederzukommen.
Am 9.12.2015 um 8.00 Uhr wird das Geflüchteten-Camp in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze durch die griechische Polizei geräumt. Dabei bleibt den Geflüchteten kaum Zeit ihre Sachen zu packen, viele Zelte werden aufgeschlitzt und das Camp in Verwüstung hinterlassen. Den Geflüchteten wird nicht erlaubt, sich zu entfernen, sie müssen in Reisebusse steigen und werden weg gefahren, die meisten von ihnen nach Athen. Es gibt jedoch auch Informationen darüber, dass Menschen von Athen weiter transportiert wurden oder einfach auf offener Straße aussteigen mussten. Teilweise gingen die Polizist*innen auch mit Gewalt
gegen Geflüchtete vor, die ihre Zelte nicht freiwillig verlassen wollten, darunter waren auch Kinder und Jugendliche. So waren mehrmals Schmerzensschreie aus Zelten zu hören, in welche die Polizei
eingedrungen war. Einzelne Geflüchtete wurden während der Räumung von den anderen separiert, geschlagen und in Polizeiautos abtransportiert. Generell schien ein großes Interesse daran zu liegen, die Öffentlichkeit von dieser Aktion auszuschließen.
Die Aktivengruppe kann in einem neuen Hausprojekt in Thessaloniki unterkommen, das  zwei Tage vor der Räumung in Idomeni extra zur Aufnahme für Geflüchtete besetzt wurde. Das Hausprojekt
hat Kapazitäten für 100  bis 150 Personen. Vorher waren schon noch in Idomeni verbliebene Geflüchtete nach Tessaloniki geholt worden.  „Die Ankunft im Hausprojekt ist unbeschreiblich. Ca. 80 griechische GenossInnen haben sich im Innenhof des Sqats, des besetzten Hauses, versammelt, als wir mit dem Bus voller Geflüchteter dort ankommen und beginnen zu singen und uns mit ‚Welcome Rufen‘ und Jubel in Empfang zu nehmen.“ so ein Beteiligter. Die NoBorder-Aktiven  kochen weiter. „Leider ist der größte Teil unserer verbleibenden Küchencrew aus Marroko, Iran, etc.  bei der Räumung des Camps nach Athen deportiert worden. der Rest der Gruppe bleibt bis zum Ende und noch nach der Räumung des Camps in Idomeni.“ Vor Ort wird weiter gekocht. Nach Verhandlungen und mit Unterstützung ‚Der Ärzte ohne Grenzen‘ schaffen es die Aktiven, Essen in die Busse zu reichen mit denen die Geflüchteten dann nach Athen abtransportiert werden. Der andere Teil der Gruppe beteiligt sich am Aufbau des Sqats, Aufbau einer VolXküche  und sucht nach Optionen um weiterarbeiten zu können. Ein dritter Teil der Gruppe fährt nach Athen um dort ihre deportierten Freunde (neue Mitglieder der ‚No Border Kitchen‘ mit Migrationshintergrund) abzuholen und nach Thessaloniki ins Squat zu bringen. Ein Teil der Gruppe, die zu diesem Zeitpunkt auch schon sehr lange unterwegs war, bleibt im Squat, der andere Teil der Gruppe macht sich von Tessaloniki nach Samos auf den Weg, dem ‚Touristenparadies‘, einer griechischen Insel in der Nähe von Lesbos).  Dorthin, wo immer wieder geflüchtete Menschen im Mittelmeer ertrunken sind – und täglich neue Boote mit Geflüchteten die die gefährliche Überfahrt von der Türkei aus in Schlauchbooten wagen  und häufig stranden. Dort dauert es ca 1- 2 Wochen bis die Registrierung abgeschlossen ist wonach sie mit einer Fähre nach Athen verbracht werden. (von Athen aus geht die Flucht dann weiter ( Idomeni – Mazedonien- sog. Balkanroute.) Menschen aus Marroko werden inzwischen
direkt nach Ankunft auf einer der Inseln aussortiert und direkt vor Ort in Abschiebehaft genommen (teilweise für Wochen). Auf Samos wird die No Border Kitchen wieder aufgebaut. Wieder mit der umfassenden Unterstützung der dort gestrandeten geflüchteten Menschen und der Hilfe griechischer Feund_innen werden bis heute ca 1.000 – 1.500 Mahlzeiten am Tag ausgegeben.
Die Insel Samos liegt nicht weit von der türkischen Küste entfernt, entsprechend viele
Flüchtende kommen an. Sie werden in zwei Lagern untergebracht: einem für ca. 500 Menschen am Hafen, ca. 1.000 in einem ehemaligen Knast umgeben von Nato-Stacheldraht! Die Kochgruppe wird vor allem von ‚Ärzte ohne Grenzen‘ unterstützt, über die insgesamt positiv berichtet wird. Insgesamt, so wird gesagt, seien selbstverwaltete Küchenstrukturen überall dort, wo Flüchtende
sind.
Als Resümee dieses ersten Teils der Veranstaltung wird formuliert: „Wir haben aus Solidarität geholfen. Aber es geht nicht um Wohltaten! Die beteiligten Länder selbst sollten solidarische Unterstützung leisten!“
Nach einem zweiten kurzen, anschaulichen Film erzählt eine Frau von ihren Erlebnissen auf dem ‚Highway in Macedonia‘. Eigentlich wollte ihre Gruppe ursprünglich weiter nach Idomeni um die dortige No BorderKitchen zu unterstützen. Aber sie bleibt in Thessaloniki von wo aus sie auf der Autobahn geflüchtete Menschen in Mazedonien unterstützt. Dort leisten die Aktiven Hilfe für Menschen, die auf der Autobahn durch Mazedonien weiter in hoffentlich ‚sichere‘ Länder gelangen wollen. Viele der Menschen haben keine Papiere, z. T. wurden  sie ihnen geraubt, z. T. hatten sie nie welche. Auf dem Highway werden Viele von ihnen bedroht, ausgeraubt, erleiden Gewalt, z. T von armen Kleinkriminellen, z. T. selber gestrandeten geflüchteten Menschen, vor allem aber von mafiaartigen ‚Gangs‘, die nicht selten mit ‚fetten Jeeps‘ unterwegs sind.  Die Aktivengruppe begleitet sie in Krankenhäuser, die die Behandlung verweigern, sie versuchen hilfsbereite Arztpraxen zu finden. Aber Mazedonien, so sagen sie, sei superarm und habe eine rechts-reaktionäre Regierung, die die Menschen nicht durchlasse, sondern abschiebe oder zurückschicke nach Griechenland, wo sie ja ohnehin nur mit Mühe über die Grenzen gekommen seien. ‚Hilfssysteme‘ sowie die Polizei in Mazedonien seien vielmals korrupt und bereicherten sich an den Geflüchteten, dies gelte für Bahnfahrten ebenso wie für Taxiunternehmen.
Am Ende der Veranstaltung, nachdem die eingesammelten Spenden übergeben und mit herzlichem Dank entgegengenommen werden, bitten die NoBorderKitchen-Aktiven  um weitere Unterstützung,  vor allem auch um die Weiterleitung ihrer Erfahrungen. Gemeinsam stellt sich den Anwesenden die bange Frage: Wie kann es weitergehen?? Die bisher Aktiven sind erschöpft, sie müssen auch in ihr ‚normales‘ Leben zurück (Studium, Ausbildung, Beruf …) –  wird es hinreichend Menschen geben, die die Arbeit fortführen?
Es ist das Anliegen dieses Artikel, über die Aktivitäten, die notleidenden Flüchtlinge und die Bedeu-tung der solidarischen Hilfe zu berichten mit der Bitte an die Menschen, die sich eine ‚Auszeit‘ nehmen können, das Projekt fortzuführen. Aber natürlich gilt es nicht zuletzt, sich gegen eine vielerorts unmenschliche Flüchtlingspolitik und gegen die Zustände, die Menschen in die Flucht treiben, einzusetzen. Dies können wir jeweils individuell aber immer auch gemeinsam tun.
Calls for support / Unterstützungsaufrufe aus Lesbos und Mazedonien
Freitag, 8. Januar 2016 02:12:44
Für alle, die überlegen, Refugees auf ihrer Flucht praktisch zu unterstützen:  Diese Aufrufe  von der ‚NoBorder-Kitchen auf Lesbos‘, vom ‚Freiburger Forum gegen Ausgrenzung in Idomeni‘  und von ‚Open Borders für illegalisierte Refugees in Mazedonien  enthalten wichtige Tipps.
Beide Aufrufe sind nach heutiger Rücksprache mit den Gruppen vor Ort nach wie vor top-aktuell!  Bei Rückfragen schreibt gerne eine Mail direkt an die Gruppen oder an grenzenloskochenhannover@posteo.de!

 

Weitere Unterstützungsmöglichkeiten:

  • Informationen verbreiten, Klamotten, Decken, Spenden sammeln …
  • Informationen
    – Bei ‚radio flora‘ finden sich mehrere Interviews
    – grenzenloskochenhannover.blogsport.de
    – openborder.noblogs.org
  • Spendenkonto:
    Rote Hilfe e.V. / OG Salzwedel
    : 400 723 8312
    BLZ: 430 609 67
    iban: DE93 4306 0967 4007 2383 12
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