Flüchtlingsabwehr mit Hilfe von Gangstern und Diktatoren
Gespräch der MAIZEITUNG des DGB mit Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen.
Die Asylpolitik hat hierzulande eine Kehrtwende vollzogen. Stand noch vor zwei Jahren die Willkommenskultur im Vordergrund, geht es heute vor allem um die Abwehr von Flüchtlingen. Im
MAIZEITUNG: Viele Menschen begrüßen, dass seit geraumer Zeit deutlich weniger Flüchtlinge zu uns kommen. Warum kritisieren Sie die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung?
Kai Weber: Die Politik der Bundesregierung setzt darauf, die Aufnahme von Flüchtlingen anderen Staaten zu übertragen. Diese Politik schiebt Flüchtlinge in Staaten ab, die keine Gewähr dafür bieten, dass Flüchtlinge dort menschenwürdig aufgenommen werden. Das gilt für die Türkei, wo wir tausende, wenn nicht zehntausende von rechtswidrigen und fragwürdigen Inhaftierungen, Hauszerstörungen und ähnliche Fälle erlebt haben. Oder nehmen wir Libyen, wo wir eine hohe Zahl von Internierungslagern, Entführungen und Erpressungen verzeichnen. Frauen werden in Lagern vergewaltigt und Menschen auf eine sehr schlimme Weise misshandelt. Es werden Bündnispartner salonfähig gemacht wie Omar al-Baschir, Staatschef des Sudan, der wegen Völkermords vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht wird. Oder der ägyptische Putschist und Staatschef Sisi, den Vizekanzler Gabriel bei seinem Staatsbesuch trotz der Verhängung von hunderten Todesurteilen einen „beeindruckenden Präsidenten“ nannte. Wir halten es in höchstem Maße für schäbig, wenn die Bundesregierung mit solchen Staaten verhandelt, damit die Flüchtlinge dort bleiben.
Dazu passt doch, dass Geflüchtete mittlerweile in Einsatzgebiete der Bundeswehr, etwa nach Afghanistan abgeschoben werden.
Afghanistan ist das zweitgrößte Herkunftsland für Flüchtlinge auf der Welt. Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge hat klargestellt, dass es keine sicheren Gebiete in Afghanistan gibt. Insofern kann die Konsequenz nur sein, diese Flüchtlinge hier aufzunehmen und ihnen Schutz zu gewähren. Wenn jetzt der Bundesinnenminister öffentlich Stimmung dafür macht, dass Afghanen zurückkehren sollen und medial inszenierte Abschiebungen durchführt, bemüht sich die Bundesregierung damit, Signale an die zu senden, die noch kommen könnten. Und dieses Signal lautet: Kommt nicht nach Deutschland, ihr seid hier unerwünscht.
Was passiert im Mittelmeer?
Die Politik Europas versucht, das Mittelmeer mit Satelliten und neuester Technik zu überwachen, um Fluchthilfe zu unterbinden und Boote zu zerstören. Mit dem fatalen Effekt, dass sich Flüchtlinge auf immer wackligere Nussschalen und Schlauchboote begeben. Auch deshalb kommen Menschen ums Leben. Das hat wenig mit Hilfe für Flüchtlinge und viel mit Fluchtverhinderung zu tun. Die Zahl der Toten im Mittelmeer hat im vergangenen Jahr mit 5.022 einen traurigen Höchststand erreicht.
Flüchtlingsorganisationen fordern, die Grenzen zu öffnen. Erhalten dann nicht rechte Parteien wie die AfD immer mehr Zuspruch?
Erstaunlich ist doch, dass wir 2015 eine in Deutschland bisher nicht gekannte Form der Begeisterung für Flüchtlingshilfe erlebt haben – und zwar zu einem Zeitpunkt, als wir schon hunderttausende Flüchtlinge im Land hatten. Die Gegenbewegung setzte erst mit einer gewissen Zeitverzögerung ein und erhielt auch Auftrieb durch Brüche und Widersprüche bei den etablierten Parteien. Wenn sich Herr Seehofer zum Sprachrohr des Rechtspopulismus macht und die Kanzlerin öffentlich beschimpft, dann muss man sich nicht wundern, dass rechte Gruppierungen darüber Auftrieb erhalten. Man wird den Rechtspopulismus nicht dadurch bekämpfen, dass man ihm nach dem Mund redet. Die Zusammenhänge von Zahl der Flüchtlinge und Rechtspopulismus lassen sich jedenfalls nicht so simpel auf den Nenner bringen: je mehr Flüchtlinge, desto mehr Rechtspopulismus. Auch aus historischer Erfahrung wissen wir, dass ein Antisemitismus ganz ohne Juden auskommt, und dass der Rassismus in Deutschland dort am größten ist, wo es am wenigsten Ausländer gibt.
Wie wollen Sie die Flüchtlingszahlen begrenzen?
Wir wollen eine solidarische Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen überall auf der Welt, auch in Europa erreichen. Wir wissen, dass das im Moment sehr, sehr schwierig ist. Viele europäische Staaten verweigern diese Solidarität.
Wäre es nicht einfacher, die Fluchtursachen zu bekämpfen, statt enorme Grenzbefestigungen zu bauen und militärisch aufzurüsten?
Eine Politik, die darauf zielt, nicht die Fluchtursachen, sondern die Flüchtlinge zu bekämpfen, wird auf Dauer scheitern, weil die Flüchtlinge dennoch verzweifelt versuchen werden durchzukommen. Wenn wir tatsächlich die Fluchtursachen bekämpfen wollen, müssen wir auch bestimmte Lebensweisen in Europa infrage stellen. Wenn etwa riesige Trawler die Meere leer fischen und Fischer arbeitslos machen, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie sich andere Existenzmöglichkeiten suchen. Es gibt riesige Ländereien in Afrika, in denen Getreide angebaut wird, um unser Diesel und Benzin zu finanzieren, während die Menschen dort nicht genug zu essen haben. Es muss doch zu denken geben, dass gerade die reichsten Staaten Afrikas mit den meisten Bodenschätzen wie Öl oder Diamanten gekennzeichnet sind durch Bürgerkriege und einseitige Handelsbeziehungen, in denen vor allem große Konzerne den Reibach machen und die Bevölkerung nicht viel davon abbekommt. Wir müssen auch Europas Zollschranken und die Zerstörung heimischer Märkte in Afrika durch unfaire Handelsbeziehungen der EU mit afrikanischen Staaten infrage stellen. Es reicht nicht, nur ein neues Entwicklungshilfeprogramm aufzulegen.