‚Nein heißt ‚Nein‘‘ – Nein zu Sexismus und Rassismus

Gedanken zu den Ereignissen in Köln in der Silvesternacht 2015/16 und ihrer Wirkung in der deutschen Öffentlichkeit

ein Beitrag von Brunhild Müller-Reiß

Die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln haben viele Menschen verunsichert,  empört, haben die Medien allgemein und die sozialen Medien im Internet in Wallung gebracht. Sie haben – wie zu befürchten war – eine üble Hetze aus der rechtsreaktionären bis faschistischen Ecke angefeuert.
Es ist schwierig Stellung zu nehmen, Fragen zu stellen, ohne rassistisch zu erscheinen und gleichzeitig die Vorkommnisse eindeutig und klar und scharf zu verurteilen. Und Frauen, die sich mit viel Selbstbewusstsein ‚die Nacht zurückerobert haben‘, fürchten sich wieder. Brauchen wir Frauen wieder ‚Schutz‘? Durch Männer, durch die Polizei? Schutz ist immer auch Kontrolle, die ‚Beschützten‘ werden schnell zu entmündigten ‚Objekten‘.
Was ist passiert? Müssen wir davon ausgehen, dass Männer, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen, frauenfeindliche Bilder und Verhaltensweisen in sich tragen, die mit den Veränderungen in unserer Gesellschaft , die sich vor allem die feministische Bewegung erkämpft hat, unvereinbar sind? Müssen wir für unsere ‚Gastfreundschaft‘ ‚Anpassung‘ einfordern? Und wenn diese ‚Anpassung‘ – oder – um es anders zu sagen – eine Akzeptanz von Geschlechtergerechtigkeit nicht gelingt, ausweisen oder zumindest mit Ausweisung drohen?
Wie können ‚Rassismus‘ und ‚Sexismus‘ gleichzeitig verhindert werden?
Diese und weitere Fragen beschäftigen viele Menschen. Eine Antwort wird wahrscheinlich nur in einer intensiven gesellschaftlichen Diskussion gefunden werden können.
Dazu soll dieser Artikel beitragen – eine Lösung beinhaltet er sicher nicht.
Im Folgenden sollen u. a. anhand verschiedener Stellungnahmen  Argumentationslinien aufgezeigt werden.
Eine Gruppe, die sich „#AUSNAHMSLOS“ nennt (und der sich inzwischen viele, auch prominente Frauen angeschlossen haben) und aus „Feminist_innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen“ besteht, äußert sich im Internet folgendermaßen:
„Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. (…) Wir fordern, dass den Betroffenen jetzt alle Unterstützung und Hilfe zukommt, die sie benötigen. Wir stehen solidarisch mit all denjenigen, die sexualisierte Gewalt und Belästigung erfahren und erfahren haben. (…) Es ist für alle schädlich, wenn feministische Anliegen von Populist_innen instrumentalisiert werden, um gegen einzelne Bevölkerungsgruppen zu hetzen, wie das aktuell in der Debatte um die Silvesternacht getan wird. Sexualisierte Gewalt darf nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich „Anderen“ sind: die muslimischen, arabischen, Schwarzen oder nordafrikanischen Männer – kurzum, all jene, die rechte Populist_innen als ‚nicht deutsch‘ verstehen. (…)Der Einsatz gegen sexualisierte Gewalt muss jeden Tag ausnahmslos politische Priorität haben, denn sie ist ein fortwährendes Problem, das uns alle betrifft. 2014 ergab eine Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), dass mehr als die Hälfte aller Frauen bereits sexuell belästigt wurde und ein Drittel sexualisierte und/oder physische Gewalt erlebte. Die polizeiliche Kriminalstatistik weist jährlich mehr als 7.300 angezeigte Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen in Deutschland aus, das sind zwanzig jeden Tag. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher.“  Als Lösungsmöglichkeit wird (u. a.) vorgeschlagen, eine Gesellschaft anzustreben, in der Menschen sich sicher fühlen können, unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Religion etc. Und sexuelle Belästigung muss strafbar sein, wo auch immer und von wem immer sie passiert. (Quelle, http://ausnahmslos.org/ vom 12. 1. 2015)
So weit – so gut. Aber helfen diese Überlegungen im konkreten Fall? Es scheint, nach allem was bisher bekannt wird, ja wirklich eine relativ homogene Gruppe von ‚arabisch/nordafrikanischen‘ Männern gewesen zu sein, Einige von ihnen ‚Flüchtlinge‘.
Am 5. 1. 2016 erschien auf Spiegel-online ein Kommentar: mit dem Titel ‚Reaktion auf die Übergriffe in Köln: Zornig, aber nicht blind‘.
Nachdem zunächst die Situation und die Reaktionen, beschrieben werden, wie sie sich in den Medien darstellen: (‚sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, alkoholisierte nordafrikanisch oder arabisch aussehende Täter, z. T. mit  Aufenthaltsbescheinigungen für Asylverfahren) mit der üblichen Schlussfolgerung: ‚Muslimische Flüchtlinge sind kriminelle Sexualstraftäter, sie hätten nie ins Land gelassen werden dürfen, und jetzt müssen sie alle abgeschoben werden.‘ wird in dem Artikel nach ‚schwierigen‘ Erklärungen und gesicherten Daten gesucht. Es wird betont, nur ein Bruchteil der Anwesenden habe Straftaten begangen. Und der Autor wendet sich gegen die scheinbar sofort fest stehende „pauschale Schuldzuweisung, die Täter seien Flüchtlinge gewesen“ und betont, dass „es sich bei den Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, nicht um eine homogene Gruppe (handelt).“
Der Autor schließ mit den Worten „Keine Frage: Männer, die sich an Frauen vergreifen, dürfen nicht straflos davonkommen – egal, wie betrunken sie sind, aus welchem Land sie kommen oder welcher Religion sie angehören.“ Aber  „Die Mehrzahl (der Flüchtlinge) ist nicht zu uns gekommen, um Gewalt auszuüben. Sie sind vor Gewalt geflohen.“ (Quelle: Stefan Kuzmany, Leiter des Bereichs Meinung und Debatte bei SPIEGEL ONLINE).
Noch eine andere Stellungnahme soll zitiert werden, verschickt vom Unterstützer_innen Refugee Protest Camp Hannover: „Erinnert sich noch jemand an den Aufschrei damals in Bayern?   Ne? Gab auch keinen.(…) Mann, die meisten von denen, die jetzt aufschreien kriegen doch nicht mal mit, wenn ne Frau neben ihnen sexuell belästigt wird. Es waren 50.000 Menschen in Köln am Bahnhof und zwischen 20-1000 übergriffige Männer. DAS ist doch das Bittere – dass mindestens 49.000 Menschen nichts davon mitbekommen haben! – DAS ist die wirklich üble Situation, über die wir uns meiner Ansicht nach mal alle gemeinsam Gedanken machen sollten. (…) Also ich bin mir ziemlich sicher: Mit‘m bisschen mehr Zivilcourage, wäre uns das nicht passiert! Mehr Achtsamkeit unseren Mitmenschen gegenüber und mehr Bewusstsein für die eigene Situation – der Rest klärt sich dann automatisch!“
Nun, ob der Rest sich wirklich so ‚automatisch klärt‘? Zweifel sind angebracht. Aber richtig ist sicher, dass Zivilcourage, von Betroffenen und Umstehenden wichtig sind. Also: Schreien, um Hilfe rufen, Trillerpfeifen dabei haben und Eingreifen von nicht Betroffenen! Wenn 49.000 nicht gehandelt haben: Was haben die getan?
Und: das, was in der Silvesternacht passierte, muss eingeordnet werden, in den Kontext sexuell übergriffiger ‚deutscher‘ Männer beim Karneval oder z. B. bei Oktoberfesten. Zu letzterem ein Zitat aus der SZ vom 29. 9. 2011: „Sexuelle Übergriffe auf dem Oktoberfest – Hemmungslos. Betrunkene entblößen sich, fassen Frauen unters Dirndl und feuern sich gegenseitig an: Im Bierzelt. Allein der kurze Weg zur Toilette ist der reinste Spießrutenlauf. Drei Umarmungen von wildfremden, besoffenen Männern, zwei Klapse auf den Hintern, ein hochgehobener Dirndlrock und ein absichtlich ins Dekolleté geschütteter Bierschwall sind die Bilanz von dreißig Metern. Auf dem Oktoberfest legen manche Männer sämtliche Hemmschwellen ab. Doch die meisten Übergriffe auf Frauen werden nie geahndet.“ Wo blieb der Aufschrei?

Aber das Narrativ “schwarzer Mann vergewaltigt weiße Frau” ist massiv im kollektiven Bewusstsein wieder präsent. Fürchten weiße Männer wieder, dass die ‚glutäugigen‘ exotischen Männer das allein ihnen zustehende Recht auf ‚ihre‘ Frauen wegnehmen?

Dennoch: die anfangs gestellten Fragen sind mit diesen Überlegungen nicht beantwortet. Die Verunsicherung von Frauen ist groß: Können sie sich noch immer und überall frei bewegen? Wieweit kann es ‚Sicherheit‘ geben ohne dass Freiheiten eingeschränkt werden? Und, dürfen wir weiter fragen, wer tatsächlich die Täter waren? Um tatsächlich akzeptieren zu müssen, dass ‚afrikanisch/arabische‘  Männer, vielleicht auch geflüchtete Männer,  in Köln Teil einer sexistisch handelnden großen Gruppe waren?
Schließlich wissen wir, dass keine  ‚Heiligen‘ sondern ‚Menschen‘ mit allen positiven und negativen Eigenschaften zu uns kommen und um Aufenthalt bitten. Sexismus ist vermutlich ein weltumspannendes Problem partriarchaler Gesellschaften. Die Frage bleibt: Was ist mit Menschen, die aus extrem diktatorischen, patriarchalen Staaten oder Gesellschaftsstrukturen kommen und dort entsprechend geprägt wurden?

Die Auseinandersetzung muss weiter gehen – aber eine neue Abschiebungspolitik und rassistische Hetze sind ein ‚No Go‘!