Friedensnewsletter Hannover November 2013

In Leipzig wurde die Völkerschlacht wieder geschlagen – wenn auch diesmal nur zum Spaß. Das Sterben und das Grauen von Krieg werden banalisiert. Dem entgegen stellt sich ein Leipziger Aufruf, den wir gerne dokumentieren. Um Krieg und um Soldaten geht es auch in einem Stück des Schauspielhauses, basierend auf dem Buch „Soldaten – Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“. Wir wollen mit dem Ensemble am 20.11. über das Stück diskutieren. Brunhild hat freundlicherweise vorab das Buch für uns rezensiert. Dazu kommen – inzwischen schon fast traditionell – der Chor und die Proteste gegen das Militärkonzert der Bundeswehr, außerdem jede Menge Veranstaltungshinweise.

Die Themen im Einzelnen:

  • Schwarzbuch Waffenhandel
  • Gewerkschaften, Rüstung und Krieg
  • Gedenken an Kurt Willkomm
  • SOLDATEN im Schauspielhaus
  • Militärkonzert in Hannover
  • Leipziger Erklärung zum Völkerschlachtgedenken
  • Rezension „Soldaten – Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“

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Termine:

31.10. 19.30 Uhr, Ver.di-Höfe, Veranstaltungszentrum Rotation: Schwarzbuch Waffenhandel

9.11. ganztags Chorfestival Chöre gegen Rechts

16.11. 12.00 Uhr Ehrengrab für Kurt Willkomm, Stadtfriedhof Ricklingen Abt. 50E, Nr. 25 Gedenkveranstaltung

19.11. 19 Uhr, Ver.di-Höfe, Veranstaltungszentrum Rotation: Gewerkschaften, Rüstung, Krieg
20.11. 20.00 Uhr Cumberlandsche Galerie, Aufführung und Diskussion

24.11. 10.30 Uhr Kargah Chorworkshop zum Protest gegen das Militärkonzert

28.11. 18.00 Uhr Protest gegen das Militärkonzert

 

Schwarzbuch Waffenhandel – Wie Deutschland am Krieg verdient
Lesung und Diskussion mit Jürgen Grässlin

31.10 19.30 Uhr,  Ver.di-Höfe, Veranstaltungszentrum Rotation, Saal

Sehr viele Politiker_innen beschwören in Sonntagsreden den Frieden und unterstützen zugleich mit ihren Entscheidungen im politischen Alltag tatsächlich nichts anderes als Krieg, Gewalt und Terror: Deutschland ist der weltweit drittgrößte Waffenexporteur – und schreckt vor Lieferungen an verbrecherische Regime und Diktatoren nicht zurück. Jürgen Grässlin verfolgt und kritisiert die Entwicklungen deutscher Waffen- und Kriegsgeräteproduktion und ihren Export seit vielen Jahren auf profunde Art und Weise. 2009 wurde Grässlin mit dem “Preis für Zivilcourage” der Solbach-Freise-Stiftung” und 2011 mit dem “Aachener Friedenspreis” ausgezeichnet. Die von ihm mitbegründete Aufschrei-Kampagne erhielt 2012 den Stuttgarter Friedenspreis zugesprochen.

In seinem neu erschienenen Buch „Schwarzbuch Waffenhandel – Wie Deutschland am Krieg verdient“ deckt er auf, wer die Profiteure dieser Kriegswirtschaft sind, er nennt Industrieunternehmen beim Namen, er zeigt, wer in der Politik die Exporte genehmigt und wie die Banken das alles finanzieren.
Eine Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Von Krieg zu Krieg zu Krieg – Spuren des Militarismus in der Region Hannover vom 19. Jahrhundert bis heute“

Gewerkschaften, Rüstung, Krieg
Vortrag von Rainer Butenschön
19.11. 19.00 Uhr, Ver.di-Höfe, Veranstaltungszentrum Rotation, Saal 3

Die Rüstungsindustrie – vor allem im Krieg – schafft (gelegentlich gut bezahlte) Arbeitsplätze. Gewerkschaften setzen sich für (gut bezahlte) Arbeitsplätze ein. Müssen sich Gewerkschaften da nicht für die Ausweitung der Rüstungsproduktion engagieren? In der Regel positionieren sich Gewerkschaften aber gegen den Krieg. Wie passt das zusammen? Gibt es einen Ausweg aus diesem anscheinend unlösbaren Interessenkonflikt? Spielt heute das Thema „Konversion“ – also die Umwandlung der Rüstungsproduktion in die Produktion ziviler Güter – noch eine Rolle in gewerkschaftlichen Diskussionen? Wie verhielten sich Gewerkschaften in der Vergangenheit zur Rüstungsproduktion und zum Krieg? Wie werden sie sich in Zukunft positionieren?
Eine Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Von Krieg zu Krieg zu Krieg – Spuren des Militarismus in der Region Hannover vom 19. Jahrhundert bis heute“

Kurt Willkomm wurde am 28. August 1905 im Riesengebirge geboren.  Während seiner Ausbildungszeit zum Lehrer schloss er sich einem Komitee sozialistischer Schüler und Mitte der 1920er Jahre der KPD an. 1927 ging er nach Hannover. Hier wurde Redakteur der kommunistischen Neuen Arbeiter Zeitung (NAZ) und  1932  Mitglied der KPD-Bezirksleitung. Seit dem Frühjahr 1933 arbeitete er in der Illegalität. Er wurde mit weiteren führenden Mitgliedern der Bezirksleitung  am 5. November 1933 verhaftet. Elf Tage nach Haftbeginn, am 16. Nov. 1933, starb Kurt Willkomm im hannoverschen Gestapo-Hauptquartier – angeblich an einer Lungenembolie – tatsächlich an den Folgen der Folter
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Willkomm in einem Ehrengrab auf dem Stadtfriedhof Ricklingen beigesetzt. 1987 wurde eine Straße im Stadtteil Mühlenberg nach ihm benannt. Im Jahr 2008 wurde vor dem Haus Lister Meile 82, seinem letzten Wohnort in Hannover, ein Stolperstein verlegt.
Zum 80. Todestag soll an seinem inzwischen fast vergessenen Ehrengrab eine Gedenkveranstaltung stattfinden.

SOLDATEN
Deutsche Soldaten im 2. Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft. Was macht man, um die Zeit totzuschlagen? Man unterhält sich. Banales Gerede?

Cumberlandsche Bühne des Staatstheaters Hannover und Friedensbüro Hannover laden ein:

Aufführung und Diskussion,  Cumberlandsche Galerie, Prinzenstraße 9,20. 11. 2013, Vorstellungsbeginn 20 Uhr, anschließende Diskussion ca. 22 Uhr

Jahrzehnte nach Kriegsende stießen die beiden Wissenschaftler Sören Neitzel und Harald Welzer auf die Tonaufnahmen der von den Besatzungsmächten vorgenommenen abgehörten Gespräche deutscher Kriegsteilnehmer. Sie nahmen diese Originalquellen und beleuchteten daran die Einstellung deutscher Soldaten zu ihrem Kriegseinsatz, zu ihrem Handeln im Krieg. Aus dem so entstandenen Buch wurde nun das Material zu einem Theaterstück „Soldaten“. Das Schauspielhaus führt uns die Gespräche in beklemmender Atmosphäre vor. Das Friedensbüro möchte dieses Theaterstück mit Besuchern_innen und dem Ensemble diskutieren. Wir möchten dabei den Bezug zu heute herstellen. Reicht ein Erschrecken über unmenschliches Handeln ohne Reue? Oder müssen wir nicht zusammen mit den Buchautoren die Frage stellen: Welche Lehren können wir daraus für heute ziehen? Zeigen die Gespräche nicht die Verrohung durch den Krieg, sondern schon vorher angelegte Denk- und Handlungsmuster, die im Krieg nur auf ihre Spitze getrieben werden? Wie widerständig sind wir heute gegen solche Entwicklungen? Wie können wir als Friedensbewegung diese Widerständigkeit befördern oder sogar erst hervorrufen?

Militärkonzert in Hannover
auch dieses Jahr spielt in der Adventszeit wieder ein Bundeswehrorchester „schöne Musik“ in der Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover. Musik wird hier benutzt um von Krieg und Bedrohung, an der die Bundeswehr beteiligt ist, abzulenken und diese Politik gleichzeitig durch einen kirchlichen Zusammenhang abzusegnen. Dagegen gibt eine Protestaktion mit Musik, die sich gegen den Krieg wendet. Wir rufen singwillige Menschen, Chöre, ChorsängerInnen auf, sich an diesem Protest und seiner Vorbereitung zu beteiligen: Protestsingen gegen Militärkonzert am 28.11. Chorworkshop am Sonntag 24.11. 10.30h bis 15h,  Cafe Kargah, Zur Bettfedernfabrik 1, FAUST-Gelände, Hannover-Linden/Nord

Hier werden Antikriegslieder von Schütz, Bach und anderen als mehrstimmige Sätze erarbeitet. Gerade diese Lieder, die größtenteils im Angesichts des dreißigjährigen Krieges als Kirchenmusik entstanden, sollen nun, in Zeiten eines schon mehr als dreißig Jahre dauernden Krieges in Afghanistan, auf der Straße erklingen, in einer Situation, in der die Kirche vom Militär besetzt ist. Die Mehrstimmigkeit und musikalische Kraft, die den Liedern eigen ist, sowie der kirchliche Zusammenhang aus dem sie kommen, bringt unserer Anliegen deutlich zum Ausdruck. Die musikalische Leitung übernehmen Eva Politt und Holger Kirleis Bitte bis zum 17.11. anmelden und Notenmaterial anfordern unter: evapolitt@gmx.de weitere Vorbereitungsprobe für alle SängerInnen: Donnerstag, den 28.11. um 17h, unmittelbar vor der Aktion UJZ Glocksee, Glockseestr. 35 Hannover, Treffpunkt auf dem Hinterhof, rechts hinten vor dem Cafe, Probe dann im „Indiego“, Zugang über die Außentreppe.
Nach der Probe geht es dann gegen 18h direkt zur Aktion mit singendem Protest gegen das Militärkonzert in der Neustädter Kirche am Platz neben der Kirche (Calenbergerstr.). Fürs Praktische: warm anziehen, Taschen -/Stirnlampen, Notenmaterial, da es auch im Wechsel Krachschlag-Protest gibt evtl. Gehörschutz Dies ist eine Initiative der Musiker Eva Politt und Holger Kirleis in Kooperation mit dem Friedensbüro Hannover.

Leipzig 1813 – 1913 – 2013. Europäische Geschichte.
Mehr Friedensverantwortung – Forderungen von Leipziger Friedenszentrum e.V. und Friedensweg e.V.

Der Rückblick auf die Völkerschlacht vom Oktober 1813 mit dem hohen Blutzoll von 100 000 Toten kann kein „Jubiläum“ sein. Der von Preußen als „Befreiungs-Krieg“ bezeichnete Herbstfeldzug führte nicht zur bürgerlich-revolutionären Ablösung der Feudalordnung, sondern beförderte nur eine neue Gebietsaufteilung unter den Feudalmächten in Europa. Damit wurde die feudale Ausbeutung der Bevölkerung, besonders der bäuerlichen, die Bewahrung der militaristischen Herrschaftsformen und die Kleinstaaterei befestigt. Die bürgerliche Revolution von 1848 scheiterte. Das 1913 in Form einer Totenglocke fertiggestellte Völkerschlachtdenkmal läutete den 1914 auch von Deutschland ausgehenden 1.Weltkrieg ein,

Der danach nicht überwundene deutsche Nationalismus und Militarismus führte durch die Nazidiktatur in den 2.Weltkrieg. Der deutsche Eroberungs- und Vernichtungskrieg 1939 – 1945 hatte ca. 55 Millionen Tote zur Folge. Bis heute gibt es keine hinreichende gemeinsame deutsch – deutsche Aufarbeitung der deutschen Verantwortung für diese Völkermorde und die politischen Konsequenzen bis zur Gegenwart.  Wie sollte eine Botschaft des Gedenkens an die Kriegsopfer von 1813 mit  Friedenserfordernissen der Gegenwart verbunden sein?

1. Der Massenschlacht 1813 folgten mit deutscher Haupt-oder Mitverantwortung Welt- und andere Kriege und Kriegsbeteiligungen bis jetzt. Heutige Erfahrungen zeigen: Kriege lösen keine Probleme und sind deshalb zu ächten.

2. Bewaffnete Konflikte sind vorrangig durch bi- bzw. multilaterale Verhandlungen zwischen den Konfliktseiten zu entschärfen und zu schlichten.

3. Seit Beendigung der Blockkonfrontation in Europa nach 1989 erfolgte noch keine generelle Abrüstung. Deshalb muss die weitere Rüstungsentwicklung gestoppt und damit das Rüstungsgebot der Europäischen Union aufgehoben werden.

4. ABC-Waffen sind global zu ächten. Der internationale Waffenhandel ist einzu-schränken und internationaler Kontrolle zu unterziehen. Alle in Deutschland noch immer einsatzbereit gelagerten US-Kernwaffen sind abziehen.

5. Die Rüstungskonzerne sind zur Wiedergutmachung bzw. zur Milderung von Kriegsfolgen, z.B. durch Minenräumen, zu verpflichten.

6. Die private Bewaffnung der Bevölkerung ist zu verringern. Die Schießsport-Vereine sind nicht mehr steuerlich zu fördern.

7. Der Friedenserziehung ist in der Bildung größerer Raum einzuräumen. Zivile wissenschaftliche Institutionen dürfen nicht für militärische Zwecke missbraucht werden.

8. Ein internationaler Friedensdienst für Versöhnung zwischen Konfliktselten ist durch die UNO weiter zu entwickeln. Die von der UNO proklamierten Grundsätze von Friedenskultur sind weltweit in praktische Politik umzusetzen.

Ganz Europa soll ein Kontinent wachsender Friedensverantwortung sein und mit den Völkern der anderen Kontinente friedlich zusammen leben. Ein Zeichen dafür setzten in Leipzig Zehntausende im Protest gegen den Irakkrieg 2003.

Leipzig, Oktober 2013

Rezension:  ‚Soldaten – Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben‘
Sönke Neitzel, Harald Welzer, Frankfurt (Fischerverlag) 2011

Vorgeschichte der Gesprächsprotokolle und Analyserahmen: Die britischen und US-amerikanischen Geheimdienste hatten während des 2. Weltkrieges tausende deutsche Kriegsgefangene systematisch abgehört. Aus diesen nahezu unüberschaubaren Quellen haben die beiden Autoren Neitzel/Welzer Dokumente ausgewählt und zu einem Buch verarbeitet. Damit liegen Quellen vor, die nicht mit einer bestimmten Absicht erstellt worden sind, sondern darin, dass die Gespräche der Soldaten in den Lagern „absichtslos“ „in Echtzeit“ geführt wurden, ohne dass die Soldaten wussten, dass sie abgehört wurden und ohne das Wissen darüber, wie der Krieg ausgehen würde.  Um es gleich vorweg zu sagen: Die Aussagen der Soldaten sind kaum erträglich! Die  von den Autoren erstellten ‚Referenzrahmen‘, (Deutungs- und Handlungsspielräume, die   Orientierung und  Verhaltenssicherheit gewährleisten), ermöglichen es den Leser_innen, sich eine gewisse Distanz zu schaffen.  Z. T. relativieren sie aber auch die Aussagen der Soldaten in zu starkem Maße. Gleich zu Anfang betonen die Autoren, dass die Soldaten „keinen Krieg aus Überzeugung führen, sondern weil sie Soldaten sind und Kämpfen ihre Arbeit ist.“ (S. 14)
Krieg als Referenzrahmen: Mit dem  Eintritt in den Krieg, durch den Übertritt in die ‚totale Institution‘  Militär ergreife diese die „vollständige Verfügung über die Person“  und Reflexion finde kaum noch statt. (S. 31) Krieg brutalisiere Menschen nicht besonders,  sondern es sei so, dass „Soldaten von vorneherein extrem gewalttätig sind.“ (S. 84) Allenfalls bezöge sich der Zeitraum der Brutalisierung auf wenige Tage. Ein Soldat berichtet z. B. von seiner Aufgabe, Bomben auf Häuser zu werfen. Am zweiten Tag seiner Tätigkeit habe er „keine Freude daran“ gehabt. „Am dritten Tag war es mir gleichgültig und am vierten Tag hatte ich meine Lust daran. Es war ein Frühstücksvergnügen, einzelne Soldaten mit Maschinengewehren durch die Felder zu jagen und sie dort mit ein paar Kugeln im Kreuz liegen zu lassen“ (S. 84)
Die Kameradschaftsgruppe wird  zur alternativlosen Bezugsgruppe, Handeln auf Befehl, Gehorsam und Hierarchien sind Rahmen und Orientierung für soldatisches Handeln.  Ein Soldat sagt:  „Wir sind wie ein MG. Eine Waffe, um Krieg damit zu führen“ (S. 32) Die Soldaten werden zu ‚Mordwaffen‘,  die Frage moralischer Verantwortung und eine entsprechende Verweigerung stellt sich in diesem  Kontext nicht (mehr).  Die Teilhabe an einer gemeinsamen Welt (Gemeinschaft, Verlässlichkeit, Halt, Anerkennung, gemeinsame Erlebnisse  und Werte) ermöglichen auch gemeinsame Brutalität.
 „Krieg als Arbeit: „Gewalteinsatz, Gewaltandrohung, das Töten oder doch Schmerzzufügen ließ sich als Arbeit begreifen und damit als sinnvoll, zumindest als notwendig und unvermeidbar erfahren.“  (S. 37)  „Menschen töten aus den verschiedensten Gründen. Soldaten töten, weil es ihre Aufgabe ist.“  Ob diese lapidare Aussage am Ende des Buches so umfassend stehen bleiben kann, ist zu bezweifeln. Freude am Töten. Massenerschießungen von Zivilist_innen,  das Verbrennen von Menschen in abgeriegelten Gebäuden,  ‚regellose‘ Menschenjagden:  ‚Sinnvolle Arbeit‘?
Spaß am Töten: Insgesamt ist in extrem vielen Soldatenäußerungen vom Vergnügen bei der ‚Arbeit des Tötens‘ die Rede: je grausamer die Szene, desto mehr wurde gelacht – zumindest wenn man den Erzählenden glaubt. ‚Spaß‘, und  ‚Mordsspaß‘ wird als Begleitung von Gewalt und Töten immer wieder genannt: „etwas sehr Schönes“ sei es gewesen, in entgegenkommende Autos „immer mit der Kanone reinzuhalten.“ (S. 106) Lachen und ‚Jokes‘ können als Bestätigung der Männer untereinander,  an derselben Welt teilzuhaben, gesehen werden – aber auch als Versuch, mit Protzerei und Übersprungverhalten das Schreckliche gemeinsam zu bewältigen.
Das Unterkapitel  ‚SEX‘, mutet mit dieser lapidaren Überschrift  seltsam an, denn das, was die Männer erzählen, ist ‚sexuelle Gewalt im Krieg‘. Es ist sicher richtig, dass es einvernehmlichen Sex, vermutlich sogar Liebesbeziehungen gab, aber die Äußerung, „ Sexualität zählt zu einem der wichtigsten Aspekte des menschlichen Lebens, des männlichen zumal“ (S. 217/218), lässt männliche Sexualität als notwendig zu befriedigendes Bedürfnis erscheinen – auch im Krieg. Dass es dabei um Macht, Gewalt, Demütigung und Unterwerfung geht, wird nicht hinreichend deutlich.  Äußerungen der Soldaten selbst sprechen eine deutliche Sprache: Es ist vom ‚hacken‘, ‚bürsten‘, ‚ficken‘  „mitunter bis zur Bewusstlosigkeit des Opfers“ (S. 219) die Rede – anschließend erfolgte dann fast immer die Erschießung.  Unter „hallendem Gelächter“  wird berichtet, eine ‚Spionin‘ sei ‚geschnappt‘ worden: „und dann haben wir zuerst mit einem Stecken auf die Äpfelchen gehauen, dann haben wir ihr den Hintern verhauen mit dem blanken Seitengewehr. Dann haben wir sie gefickt, dann haben wir sie rausgeschmissen, dann haben wir ihr nachgeschossen, da lag sie auf dem Rücken, da haben wir (mit) Granaten gezielt. Und jedes Mal wenn wir in die Nähe trafen, hat sie aufgeschrien. Zum Schluss ist sie dann verreckt und wir haben die Leiche weggeschmissen.“ (S. 272)
In ihrer historischen Analyse betonen die  Autoren die teilweise euphorische  Stimmung zu Beginn der NS-Zeit „an etwas ganz Neuem, Gewaltigen beteiligt zu sein.“  (S. 48) Der ökonomische Aufstieg‘ und die die NS-Rhetorik, als ‚arische‘ Menschen etwas Besonderes  zu sein, führte zu dem Bewusstsein, „Menschen seien  kategorial ungleich.“ (S. 48) Obwohl im ‚Alltag‘ zunächst alles so weiter ging,   „verändert sich politisch und kulturell zugleich Gravierendes“ (S. 55): die Gesellschaft teilt sich in eine „Mehrheit der Zugehörigen und eine Minderheit der Ausgeschlossenen.“ (S. 56),  Volk und Volksgemeinschaft wurden zu Bezugsgrößen ‚moralischen Handelns‘. Die ‚Rassenzugehörigkeit‘ wird zum politischen Programm und zum Kriterium, wie Menschen zu behandeln seien.  Die Autoren nennen dies eine „partizipative Diktatur“, eine partizipative Ausgrenzungsgesellschaft“. (S. 65/66) So wurden liebevolle Menschen zu  hemmungslosen Mördern.  Der Militarismus in Deutschland wurde aber vom Faschismus nicht neu erfunden: er reichte von den ‚Einigungskriegen‘ von 1864 – 1871 bis in die Weimarer Republik. Der ‚Wertekanon‘ von Ehre, Satisfaktionsfähigkeit, Befehl und Gehorsam, hierarchischem Denken, von  ‚Vaterland‘, ‚Manneszucht‘ und ‚Mannesehre gipfelte in Sozialdarwinismus, Rassismus und Nationalismus in der NS-Zeit. Die Heeresleitung sprach bereits 1924 von der „nationalen und wehrhaften Erziehung  … zur Erzeugung von Hass gegen den äußeren Feind … und dem staatlich geführten Kampf gegen Internationale, Pazifismus, gegen alles Undeutsche.“ (S. 71)  Die Kriegsmarine sei mit „rücksichtsloser Entschlossenheit, fanatischster Hingabe, härtestem Siegeswillen“ zu führen, so Großadmiral Dönitz 1943. (zit. S. 74) Schließlich sei im ‚Dritten Reich’ dann ein Maßstab gültig gewesen, der im gegenmenschliches Verhalten und der davon ausgehenden Gewalt, ein gigantisches Realexperiment durchführte, wozu psychisch normale und ihrem Selbstbild nach gute Menschen fähig sind, wenn sie etwas innerhalb ihres Referenzrahmens für geboten, sinnvoll oder richtig hielten.“  (S. 46)
Bewertung:
Vieles von dem, was die Autoren wiedergeben, eröffnet einen neuen Blick auf militärische Welten. Allerdings überzeugt die sozialhistorische Herangehensweise der Autoren nur begrenzt: sie schafft zwar Distanz zu den teilweise kaum erträglichen Äußerungen der Soldaten über ihr noch unerträglicheres Verhalten im 2. Weltkrieg – kanalisiert aber damit und mit den vielfachen Hinweisen auf die ‚Banalität‘ ihrer ‚Arbeit im Krieg‘ die notwendige Empörung über genau dieses Tun  und das vielfache Gelächter der Soldaten über ihre ‚Heldentaten‘.  Insgesamt bleibt dennoch festzuhalten: Die Wiedergabe, Bearbeitung und Analyse der aufgefundenen Soldatenprotokolle kann von uns allen sehr gut genutzt werden, um das Handeln der Soldaten im Krieg zu verstehen und dem ‚Kämpfen, Töten und Sterben‘ ein Ende zu bereiten. Die Autoren sagen „Wenn Krieg ist, dann ist das so. Man sollte sich stattdessen besser fragen, ob und unter welchen Bedingungen Menschen vom Töten ablassen können.“  (S. 421) Das heißt noch umfassender ausgedrückt: unter welchen Bedingungen entstehen Kriege und wie kann unser Wissen um die Bedingungen der ‚Arbeit des Kämpfens‘  dazu beitragen, den Kriegen in aller Welt ein Ende zu bereiten.