Die drei Friedensnobelpreisträgerinnen von 2011 – Ein Kommentar

Der folgende Beitrag wurde am 20. 10. auf dem ‚Internationalen Frauensendeplatz‘ von radio flora gesendet. Der ‚Internationale Frauensendeplatz‘ wird von Frauen mit und ohne ‚Migrationshintergrund‘ gestaltet .- Er ist in jeder Hinsicht international: inhaltlich und in Bezug auf die Mitarbeiterinnen.

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Friedensnobelpreis für drei Frauen Erfüllung der ‚Frauenquote‘ oder überzeugende Wahl?

Ein paar Tage rauschte der Medienwald – nun ist es wieder still um die drei Frauen, die den diesjährigen Friedensnobelpreis erhielten. Gleich drei Frauen! Und dann auch noch drei nicht-europäische Frauen! Schwarzafrikanische Frauen! Superlative waren überall angebracht!

Nun ist es wieder still! Selbst die Tatsache, dass eine der drei Frauen, die Präsidentin von Liberia, inzwischen eine Wahl überstanden – aber kein eindeutiges Ergebnis erzielt hat – ging in der politischen Berichterstattung unter: es wird im Nov. eine Stichwahl gegen den Fußballprofi stattfinden, der gegen sie angetreten ist.

Aber mit gleich drei Frauen konnte die ‚Frauenquote‘ bei den PreisträgerInnen stark erhöht werden: es sind nämlich seit 1901 nur 12 Frauen dabei. Berta von Suttner war die erste Frau. Rechnen wir die Jahre ab, in denen der Preis nicht vergeben wurde und ebenfalls die Jahre, in denen Organisationen den Preis bekamen, kommen wir auf knapp 10 %. Nun ja, in den hohen Chefetagen sieht’s düsterer aus!

Bevor wir nun endlich zu den drei Frauen kommen, ein kurzer Leserbrief aus dem Fokus:

Ich habe offenbar eine Entwicklung verpasst. Ich gönne diesen Frauen, den Preis. Sie haben ihn sicherlich verdient. Aber ich bin nicht einverstanden damit, dass nun der Friedensnobelpreis uminterpretiert wird in einen Frauenrechtepreis. Politiker und Journalisten überschlagen sich ja förmlich dabei zu betonen, wie sehr sie es begrüßen, dass hier die Frauenrechte gestärkt werden. Ich dachte immer es geht um Friedenstiftung – also die Verhinderung von Krieg. Es ist mir neu, dass die Durchsetzung von Frauenrechten einem Krieg vergleichbar sein soll. Diese Interpretation passt mir nicht. Wenn diese Frauen also nur (wobei ich dieses Engagement keinesfalls schmälern will) für Frauenrechte einstehen ist es schlicht der falsche Preis.

Da hat – mit Verlaub – der Fokusleser nicht genau hingeschaut: alle drei Frauen haben sehr wohl mit dem Kampf für Frieden in ihren jeweiligen Ländern zu tun.

Schauen wir uns die drei Frauen näher an:

Ellen Johnson Sirleaf ist mit 72 Jahren die älteste Preisträgerin.

– Sie ist (noch) Präsidentin von Liberia.

– Sie ist Nachfahrin der Gruppe der aus den USA ausgewanderten Ex-Sklavinnen. Diese stellt offenbar die Elite des Staates und ist in Regierungs- und hohen Verwaltungsstellen überproportional vertreten.

– Sie ist Afrikas erstes weibliches Staatsoberhaupt.

– In der FR heißt es: „Sie hat es geschafft, Hoffnung zu wecken in einem Land, in dem hunderttausende Kinder im Bürgerkrieg als Soldaten morden und foltern mussten, wo nach Schätzungen etwa 90 Prozent der Frauen Opfer von Vergewaltigungen wurden. Sie hat den zerfallenden Staat aus dem Chaos geholt und auf einen halbwegs geordneten Weg gebracht.“

– Das Nobelpreis-Komitee begründete seine Wahl so:“Seit ihrem Amtsantritt 2006 hat sie dazu beigetragen, den Frieden in Liberia zu sichern, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu fördern und die Position von Frauen zu stärken.“

Sirleaf ist eine Vertreterin der liberianischen Elite und scheint eine Frau der internationalen neoliberalen (kapitalistischen?) Wirtschaft zu sein.

Johnson-Sirleaf hat in Harvard und an anderen US-Unis Wirtschaftswissenschaften studiert und war in Spitzenpositionen verschiedener Banken (z. B. Vizepräsidentin der Equator Bank; Vizepräsidentin der Citibank in Kenia und Arbeit bei der Weltbank bei den UN).

Die sog. „internationale Gemeinschaft“ scheint bereit, ihr Kredite zu geben, weil sie als zuverlässig und erfolgreich im Kampf gegen Korruption gilt

Entsprechend wird sie als pro-westlich eingestuft.

Das rohstoffreiche Land Liberia ist für Industriestaaten, die arm an Bodenschätzen sind, von sehr großer Bedeutung. (z. B. gibt es u. a. Gold, Tropenholz, Eisenerz Erdöl…)

Johnson-Sirleaf hat z. B. den Konzern Arcelor-Mittal (Deutsch-Schweizer Stahlproduzent mit 27 Niederlassungen) ins Land geholt, der in Liberia eine Eisenerzmine betreiben will – aber Arbeitsplätze sind noch nicht in Sicht.

Es sind also bereits zwei Seiten dieser Frau deutlichgeworden:
Sirleaf half, den Bürgerkrieg zu beenden und Liberia zu einem relativ stabilen Staat zu machen. Gleichzeitig
scheint sie auch daran interessiert zu sein, kapitalistische Strukturen in Liberia aufzubauen, rohstoffinteressierten westlichen Staaten Tür und Tor zu öffnen und damit möglicherweise eine Zwei- oder Mehrklassengesellschaft in ihrem Land zu fördern.

Auch hinsichtlich ihres poltischen Lebensweges gibt es Widersprüche:

Die Wahrheitskommission in Liberia wirft Sirleaf vor, den Kriegsverbrecher James Taylor unterstützt zu haben. Dies streitet sie auch nicht ab – weist aber auf ihren radikalen poltischen Richtungswandel hin. Sie war zwischenzeitlich im Ausland, kehrte 2003 nach Liberia zurück und muss sich demnächst der Stichwahl für eine Wiederwahl als Präsidentin stellen.

Sehr umstritten ist die Tatsache, dass Sirleaf die hohe Auszeichnung des Friedensnobelpreises wenige Tage vor ihrer Kandidatur und erhofften Wiederwahl als Staatspräsidentin bekam. Da kommt doch sehr der Verdacht nach Wahlunterstützung auf. Und wenn der Westen sich so in die interne Politik in einem afrikanischen Land einmischt – ein Schuft wer Böses dabei denkt?

Ein Resümee ist schwierig: Sirleaf gibt politische Fehler zu, sieht die wirtschaftliche Gegenwart und Zukunft Liberias keineswegs in rosigen Farben, öffnet möglicherweise kapitalistischer Ausbeutung in Liberia sämtliche Türen: hat aber eben auch dazu beigetragen, dass ein extrem brutaler Bürgerkrieg beendet werden konnte.

Die zweite Preisträgerin ist aus sehr anderem Holz geschnitzt:

Sie unterscheidet sich von Sirleaf sowohl in ihrer Herkunft, ihrem politischen Lebenslaufund ihren Zielen – ist aber ebenfalls aus Liberia:

Leymah Roberta Gbowee (39 Jahre).

Sie gilt in den Medien als Frauenrechtsaktivistin“, kämpfte schon früh gegen Taylor.

Zuerst war sie Streetworkerin, um traumatisierten Kindern und Jugendlichen zu helfen.

Sie war bereits mit 17 Jahren vom Land in die Hauptstadt gekommen.

Gbowee gehört nicht den Nachfahren der Ex-Sklaven und somit der ethnischen oder politisch herrschenden Gruppe in Liberia an.

Auf den blutigen Bürgerkrieg reagierte sie nicht wie andere, die sich versteckten, sondern sie mobilisierte 2002 christliche und muslimische Frauen, um für den Frieden zu singen und zu beten; diese Bewegung nannte sich „Women of Liberia Mass Action for Peace“

Die Teilnehmerinnen zogen sich als gemeinsames Merkmal weiße Kleidung an (Symbol für Unschuld und Friedfertigkeit). Zuerst trafen sich die Frauen auf dem Fischmarkt von Monrovia, sie bekamen aber bald viel Zulauf, dass die Kundgebungen auf dem Fußballfeld des größten Stadions stattfanden.

Bekannt geworden ist sie auch durch ihren Aufruf zum „Sex-Streik“, um die Männer zu einer friedvollen Politik zu bewegen.

Der friedliche Protest trug dazu bei, dass der Kriegsverbrecher Taylor zu Friedensgesprächen gezwungen wurde.

Von Juni 2006 bis Mai 2007 wurde sie regionale Beraterin des Women Peace and Security Network Africa (WIPSEN-Afrika) und wurde im Juli 2007 zum Executive Director ernannt.(stellvertretende Direktorin)

Ihre Geschichte wird in dem 2008 entstandenen Dokumentarfilm „Pray the devil back to hell“ erzählt. (Zu diesem Film gibt es ‚Trailer‘ im Internet; der Film kann auch als CD erworben werden. Vermutlich sehr interessant)

2004 wurde sie in die Wahrheits- und Versöhnungskommission berufen.

Resümee: Nach allem, was hier bei uns über Gbowee bekannt ist, scheint sie – stellevertretend für die Frauen ihrer Bewegung – den Nobel-Preis sehr wohl verdient zu haben.

Die dritte der drei Preisträgerinnen kommt aus dem Jemen:

Tawakkul Karman

Sie ist mit 32 Jahren die jüngste der Preisträgerinnen und gilt als „Menschenrechtsaktivistin“.

Sie hat seit 2007 vor dem Amtssitz der Regierung kleinere Kundgebungen organisiert.

Jeden Dienstag protestierte sie gegen Korruption und Tyrannei, für die Freilassung politischer Gefangener; allerdings kamen selten mehr als ein paar hundert Studenten zu diesen „Dienstags-Demos“.

Sie hat dann den Verein „Journalistinnen ohne Ketten“ gegründet und sie hat, vielleicht angeregt durch die Vorgänge in Tunesien, ab Januar mit Jugendlichen in Sanaa gegen Salih demonstriert, insbesondere gegen sein Vorhaben, die Verfassung zu ändern um sich eine weitere Amtszeit zu sichern.

Bei ihrer ersten Demo gingen nur 2 weitere Frauen mit. Später waren es dann zehntausend. Sie wurde dann verhaftet – und tausende Jugendliche trugen Transparente mit ihrem Bild durch die Straßen von Sanaa und forderten ihre Freilassung.

Julia Gerlach schreibt in der Frankfurter Rundschau v. 8.10.: „Allein dies ist unglaublich: Im Jemen, wo viele Männer nicht ertragen, dass Ihre Frauen, Töchter Schwestern ihre Gesichter öffentlich zeigen und deswegen der Vollschleier weit verbreitet ist, versammeln sich Tausende unter dem Foto einer Frau. Karmann hat früher auch ihr Gesicht verhüllt, den Schleier dann aber weggelassen. Er passe nicht zu ihrer Rolle als Aktivistin: ‚Die Menschen müssen mich sehen‘, sagte sie einmal. Seitdem trägt sie farbige Kopftücher zum schwarzen Gewand. Aus dem Ruf nach mehr Freiheit und politischer Reform wurde nach Karmanns Entlassung das Aufbegehren gegen das System. (…)

Gerlach schreibt weiter: Allerdings ist Karmann im Jemen umstritten. Nicht nur ist sie der Regierung verhasst, auch bei den Jugendlichen verlor sie zuletzt an Ansehen. Diese nehmen ihr übel, dass sie bereit ist, Kompromisse einzugehen, um andere politische Kräfte einzubinden.“

Es wird behauptet, dass Karman als Außenseiterin für die Verleihung des FriedensNP galt – eher seien die Tunesierin Lina Ben Mhenni und die Ägypterin Israa Abduk Fattouch favorisiert gewesen.

Karman ist aktives Mitglied einer Partei, der Islah, die bei uns als fundamentalistisch gilt. Dies sei ein Zusammenschluss der jemenitischen Muslimbruderschaft, der Salafisten und dem Stamm der Al Ahmar. Die Kennzeichnung ‚islamistisch‘ sollte aber wegen der bei uns grassierenden ‚Islamophobie‘, mit Vorsicht benutzt werden – manchmal heißt dies schlicht ‚anti-westlich‘.

Seit Karman den Schleier abgelegt hat, trägt sie ein traditionelles schwarzes Kleid und bunte Kopftücher.

Wieweit eine Frau in einer ‚Bruderschaft‘ Mitglied sein kann, erschließt sich mir nicht, aber immerhin spielen unsere Fußballfrauen ja auch in ‚Mann’schaften‘.

Es ist schwer einzuschätzen, was bei uns als ‚fundamentalistisch‘, ‚islamistisch‘ etc. eingestuft wird, aber vielleicht ist es ja auch zu begrüßen, dass das Nobel-Komitee eine durchaus nicht westlich, sondern islamisch orientierte Kämpferin gegen die Saleh-Diktatur herausgehoben hat.

Der Spiegel hat Karman ganz kurz interviewt, wobei Karman sich über „die Einmischung des Auslands“ in den Kampf gegen Saleh beklagte. Ob der neue Jemen denn ein islamischer Staat werde, wollte der Spiegel wissen. „Wir wollen eine moderne Zivilgesellschaft, weltoffen und zukunftsorientiert.“ sagte sie. Sowas hätte auch Westerwelle sagen können. Welche Rolle der Islam spielen werde? Karmans Antwort: „Uns schwebt ein System wie in der Türkei vor.“ Insgesamt wenig aussagekräftig.

Karman wurde 7.2.1979 geboren, sie studierte Verwaltungswissenschaften an der Univ. Sanaa, heiratete mit 22, hat 3 Kinder.

Ihr Vater hat für mehrere Regierungen als Minister für rechtliche und parlamentarische Angelegenheiten gearbeitet. Ihr Mann ist Mathelehrer und auch „Menschenrechtsaktivist“.
D. h., Karmann lebt in Menschrechts-orientierten Kreisen – gehört aber ebenso wie die liberianische Präsidentin der Oberklasse an – was an sich kein Makel ist – sich aber immer mit der Frage verbindet: Wessen Interessen werden tatsächlich vertreten.

Gesamtresümee

ØEs bleiben Fragen, es bleiben Widersprüche – die für uns hier nicht zu lösen sind, weil zu vieles bereits vorsortiert ist, bevor die Information uns erreicht.

ØEs bleibt auch die Frage: Warum zunächst ein solcher Medienhype? Warum aus wohlgeschliffenen Männerkehlen so eine Euphorie?

ØDie Frage bleibt, sollte die Frauenquote mit gleich drei Frauen doch recht unterschiedlicher Strickart die Frauenquote ins ‚Unermessliche‘ gesteigert werden?

ØOb es bessere Kandidatinnen – oder eine bessere Kandidatin – gegeben hätte, können wir hier nicht beurteilen.

ØWir wollten hier einfach Fragen äußern, auf Probleme hinweisen und Verdienste hervorheben. Wichtig ist in unseren Augen die Wahl der drei Frauen allemal – trotz aller Widersprüche.

ØJedenfalls erscheint uns die Wahl der drei Frauen erheblich besser als die eines Barak Obama, der nicht kann oder nicht will, was er einmal versprach:

Maybe THEY can! Let’s see!