Offener
Brief des AStA der LUH an das Institut für Rechtsinformatik:
“iBorderCtrl” – Rassistischer Science-Fiction-Albtraum oder
Realität?
Leibniz Universität Hannover hilft der EU bei der
Abschottung
Unter
dem Namen “iBorderCtrl” testet die EU eine Software, mit deren
Hilfe Einreisende ohne EU-Pass einer Befragung durch eine künstliche
Intelligenz einschließlich Lügendetektor unterzogen werden sollen,
um ihnen einen „Risiko-Score“ zuzuweisen. Dieser soll die
Wahrscheinlichkeit für falsche Aussagen bei der Befragung angeben,
was als Grundlage weiterer Kontrollen dienen kann.
Reisende
sollen von zu Hause aus Dokumente hochladen und von einer künstlichen
Intelligenz befragt werden. Hierbei beteiligt sich das Institut für
Rechtsinformatik laut eigener Aussage mit Klärung „rechtlicher und
ethischer Fragen“. Der Avatar soll anhand des aufgezeichneten
Gespräches beurteilen, ob die Reisenden lügen und „bedrohlich“
seien. Gerade wird der Einsatz an vier Grenzübergängen in
Griechenland, Lettland und Ungarn getestet. Während bisher die
Teilnahme freiwillig sei und keine Auswirkungen hätte, liegt die
Befürchtung nahe, dass beides nicht so bleiben wird. So oder so
wirft diese Idee viele Fragen auf:
–
Warum wird kein Programm für sichere Fluchtrouten oder globale
Umverteilung von Ressourcen entwickelt statt automatisiert Menschen
kontrollieren und abweisen zu wollen?
–
Wie ist ein aufgezeichnetes Verhör durch einen Lügendetektor mit
Persönlichkeitsrechten und Privatsphäre zu vereinbaren?
–
Wer gilt aus welchen Gründen als bedrohlich?
–
Kann eine künstliche Intelligenz wirklich beurteilen, ob jemand
lügt?
–
Wieso sollen Lügendetektoren, die vor Gericht nicht als Beweismittel
zugelassen sind, an der EU-Grenze eingesetzt werden?
Selbst
nach eigenen Angaben hat der Lügendetektor nur 75% Erfolgsquote.
Gerade der Verlass auf Muskelzucken als Anzeichen von Nervosität
wirkt absurd, wenn man bedenkt, dass sowohl eine Flucht als auch die
Kontrolle selbst nervös machen kann.
Es
ist skandalös, dass eine so zweifelhafte Technologie, die wirkt wie
aus einem Science-Fiction-Albtraum, an den Grenzen – fern von
jeglicher kritischen Öffentlichkeit – gegen Menschen eingesetzt
werden soll, die nur wenige Möglichkeiten haben, sich dagegen zur
Wehr zu setzen.
Wir
verstehen solche Projekte als Kampfansage gegen Menschen ohne
EU-Pass, weil ein Generalverdacht hergestellt und extrem weitgehende
Überwachung angestrebt wird. Scheinbar soll der Kampf gegen Menschen
auf der Flucht auf eine weitere Ebene gebracht werden. Die Staaten
der EU hindern Schiffe daran, Menschen im Mittelmeer zu retten, die
sie selbst retten müssten. Sie verstecken sich hinter
Dublin-Gesetzen, um Geflüchtete hin und her zu schieben. Überall
gibt es vermehrt offen rassistische Parteien, Aufmärsche und
Brandanschläge.
Die
im Rahmen von “iBorderCtrl” an geflüchteten Menschen erprobte
Technologie sollte auch im Zusammenhang mit anderen Formen
präventiver Überwachung und/oder Bestrafung gesehen werden: Z.B.
neue Polizeigesetze in deutschen Bundesländern oder „Predictive
Policing“-Programme, die durch künstliche Intelligenz angeblich
gefährliche Gebiete oder sogar Personen bestimmen sollen. Denn in
all diesen Fällen nimmt die Verfolgung von Menschen zu, wobei
Rassismus eine immer größere und reale Vorwürfe eine immer
kleinere Rolle spielen.
Vor
diesen Hintergründen betrachten und kritisieren wir “iBorderCtrl”.
Eine kritische Auseinandersetzung mit „ethischen und rechtlichen
Fragen“ sollte zum Fazit kommen, dieses Projekt zu verhindern,
anstatt es zu legitimieren! Außerdem fordern wir das Präsidium auf,
solche Forschungen nicht zuzulassen! Der Einsatz dieser Technik
sollte verhindert werden, solange sie noch in den Startlöchern ist!
Afrin Plattform Hannover, Arbeitskreis kritische Soziale Arbeit Hannover, AStA der LUH, Autonomes Feministisches Kollektiv Hannover, Basisdemokratischer Fachrat Sozialwissenschaften, Campus Grün Hannover, Elchkeller, Flüchtlingsrat Niedersachsen, Friedensbüro Hannover e. V., Kritik und Subversion Hannover, Solinet Hannover und Studentische Senator*innen der LUH
Quellen:
Süddeutsche
Zeitung,
Onlineartikel
vom 05.11.2018:
https://www.sueddeutsche.de/digital/grenze-kuenstliche-intelligenz-software-iborderctrl-1.4196243
Spiegel
Online,
Onlineartikel vom 19.11.2018:
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/projekt-iborderctrl-darf-und-kann-ki-luegner-bei-der-einreise-stoppen-a-1238448.html